„Stimmbildung bedeutet die Stimme so zu schulen, dass ich besser mit ihr umgehen kann“ – so oder ähnlich wird manch einer denken, der sich entschließt Gesangunterricht zu nehmen. Aber nur ‚die Stimme in Schwung zu bringen‘ ist zu wenig.
Da die Stimme unser persönlichstes Instrument ist, das auf jede nur erdenkliche Gefühlsregung reagiert, müssen wir unsere Persönlichkeit beim Ausbilden der Stimme berücksichtigen. Mit der Veränderung der Stimme verändert sich auch unsere Persönlichkeit. Keine Angst: Es handelt sich nicht um Manipulation, sondern um Weiterentwicklung. Der Sänger muss bereit sein, in Sachen ‚Selbstentdeckung‘ auf Abenteuerreise zu gehen. Wir lernen in der Auseinandersetzung mit der eigenen Stimme neue Seiten und Möglichkeiten unserer Persönlichkeit kennen.
Unsere Ziele:
Wir entwickeln Mut, die Stimme laut vor anderen klingen zu lassen und Gefühle zu äußern. Wir entdecken, dass der Körper unsere Stimme trägt und unterstützt und Singen unser Wohlbefinden steigert.
Wir werden fähig etwas von uns, das uns wichtig ist, preiszugeben und anderen damit die Chance zu geben, darauf einzugehen, uns kennenzulernen und Anteil zu nehmen.
Wir finden neue Nuancen in unserer Gefühlswelt und können uns differenzierter ausdrücken.
Wir werden sensibel für die Belange und Gefühle anderer.
Der Weg dorthin zusammen mit (m)einem Gesangspädagogen:
Die Stimme braucht den Nährboden unserer Seele und unseres Körpers, d.h. beide müssen in Einklang gebracht werden, damit die Stimme frei schwingen kann. Die Stimme muss ‚technisch‘ einwandfrei funktionieren (wie ein gespieltes Instrument auch), um dann den entsprechenden Ausdruck, den wir in uns fühlen, weitertragen zu können.
Der Mensch muss als Ganzheit singen!
Und das erfordert Geduld. Mein Professor – ein erfahrener Gesangspädagoge – sagte mir zu Beginn meines Studiums: „Geduld kocht Steine.“ – Ein Satz, der mich nicht mehr loslassen sollte.
Zunächst bekam ich einen riesigen Schreck: Wieviel Geduld muss ich für die Ausbildung meiner Stimme aufbringen? Bedeutet das, dass ich unendlich lang studieren und üben muss? Bin ich denn so schlecht? Fehlt mir das Talent? Fragen über Fragen …
Heute macht mir der Satz Mut: Geduld zahlt sich aus!
Ich brauchte Geduld, um meine Stimme reifen zu lassen – eine Stimmausbildung ist ein Prozess, ein Weg.
Ich brauchte auch Geduld für mich selbst. Mir selbst Zeit zu geben für meine Entwicklung, Fehler machen zu dürfen, Schwächen zuzulassen und beides gelassen und gezielt anzugehen, aber auch Freude an den Erfolgen zu haben – das musste und durfte ich lernen.
Und bei diesem Prozess war mein Professor Becker ein geduldiger Begleiter, der sich die Zeit für mich und meine Stimme nahm, die wir beide benötigten.
Außerdem braucht ein Gesangspädagoge Geduld. Ich habe es ja selbst erleben dürfen. Geduld, den anderen dort abzuholen, wo er gerade steht, d.h. seine Lebenssituation mit berücksichtigen, seine psychische und physische Disposition erkennen und sorgfältig in die Arbeit an der Stimme intergrieren. Geduld zum Zuhören – zum Hören nicht nur der Töne, sondern auch auf das, was der Gesangschüler zu sagen hat. Und zuletzt braucht er Geduld, das Instrument Stimme wirklich von der Basis aus aufzubauen – Körper, Geist und Stimme in Einklang zu bringen mit Hilfe von Technik, die auf das Instrument und den Menschen abgestimmt ist. Erst dann ist ein Sänger dem Anspruch der großen und vielfältigen Gesangliteratur gewachsen.
Die dreifache Verantwortung:
Darüberhinaus müssen sich Künstler und auch Pädagogen immer ihrer dreifachen Verantwortung bewusst sein: erstens der Verantwortung gegenüber dem Werk, das gründlich studiert und umgesetzt werden will, damit es in seiner vollen Blüte erklingen kann. Zweitens ist die Verantwortung gegenüber dem Komponisten zu beachten, der sich selbst in sein Werk hineinbegeben hat, und nun den Künstler als ’seine‘ Stimme braucht, um das zu vermitteln, was er in seinem Werk geschaffen hat. Und die dritte Verantwortung ist diejenige gegenüber dem Zuhörer oder Zuschauer, der sich einlässt auf die Darbietung und auf das, was der Künstler ausstrahlt, für sich in Anspruch nehmen will und wird. Der Künstler kann den Zuhörer manipulieren, indem er eine verzerrte Interpretation eines Werkes darstellt und damit den Zuhörer und den Schöpfer des Werkes hintergeht. Der Künstler muss immer bereit sein, sich selbst und seine Arbeit kritisch zu hinterfragen und zu versuchen seine Authentizität für keinen Preis aufzugeben.
Singen macht Sinn:
Singen macht Spaß, dient der Entspannung, dem körperlichen und seelischen Wohlbefinden, hält Körper und Geist fit. Es hilft Angst zu überwinden und neue Seiten an sich selbst zu entdecken.
Gemeinsam Singen mit anderen bedeutet Anteil nehmen am anderen, Sich- Auseinandersetzen mit dem Sängerkollegen, für den anderen da sein und ein offenes Ohr haben, Isolation und Einsamkeit überwinden, Freude teilen.
Singen für andere verbindet Sänger und Hörer, schafft Gemeinschaft, baut Brücken.
Singen für einen guten Zweck beugt Gedanken- und Verständnislosigkeit vor und hilft anderen aus ihrer Verzweiflung oder Frustration, durch praktische Unterstützung.